Tini und der Rollstuhl

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Ball auf der Straße - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Es war nicht immer so. Sie konnte sich an Zeiten erinnern, da war sie genauso wie alle anderen. Sie konnte laufen, springen, tanzen oder auch einfach nur auf dem Boden herumkrabbeln und Ski fahren. Das fehlte ihr fast am meisten.


Doch jetzt war alles anders. Wäre doch dieses blöde Auto nicht gewesen, das genau in dem Moment heranbrauste, als sie dem Ball nachlief. Ja, ja, natürlich hatten ihre Eltern sicher eine Million Mal gesagt, dass sie auf keinen Fall in der Nähe der Straße spielen durfte. Doch Tini wollte unbedingt mit den anderen mitspielen. Und als der Ball davon rollte, dachte sie nicht einmal eine Sekunde an irgendwelche Verbote oder Warnungen.


Ja, und nun war es zu spät. Ihre Mama sagt, sie hätte noch Glück gehabt. Es hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Und dass sie froh sei, dass Tini noch am Leben ist. Ja klar, tot wäre sicher noch viel blöder. Aber so wollte sie auch nicht weiter machen. Den ganzen Tag lang in so einem doofen Stuhl mit Rädern zu sitzen.


Rückkehr in die Schule

Tini in der Schule - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Als Tini nach ihrem Unfall das erste Mal wieder in ihrer Klasse auftauchte, fühlte sie sich ziemlich komisch. Alle ihre Freunde waren auf einmal total anders. Der Tobias traute sich gar nicht, sie anzuschauen und Lisa behandelte sie wie eine kranke Puppe. Dauernd fragte sie Tini ob sie ihr was bringen kann, ob es ihr gut ginge oder ob sie Schmerzen hätte. Auch sprach sie mit einer komischen Babysprache mit ihr.

„So was Blödes“, dachte Tini. „Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen. Ich kann einfach nur nicht mehr gehen.“ Die Lehrerin bemühte sich zwar, ganz normal zu sein, aber immer wieder bemerkte Tini ihre mitleidigen Blicke.

Statt sich besser zu fühlen, weil sie in die Schule gehen - oder besser fahren - konnte, ging es ihr eher schlechter. Sie tat sich selber immer mehr leid und wurde immer unselbstständiger. Es war ja auch nicht nötig, selbstständig zu sein, denn all ihre Freunde waren ständig da, um ihr das Leben zu erleichtern. Aber war es wirklich eine Erleichterung - Tinis Selbstmitleid wuchs und schon bald gab es fast keinen Tag mehr, an dem sie sich freuen konnte.


Nie wieder Ski fahren ...

Tini denkt ans Ski fahren - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Die Zeit verging. Aus dem Sommer wurde Herbst und schließlich Winter. Die ersten Schneeflocken fielen vom Himmel und Tini wurde so richtig traurig.

Nie mehr Ski fahren! Der Gedanke war für Tini wohl der schrecklichste. Sie verkroch sich immer mehr, ging nicht nach draußen, spielte nicht und lernte auch nicht mehr für die Schule. Die Lehrerin sah ihr das nach. „Schließlich hatte Tini ja ein schreckliches Schicksal zu ertragen“, dachte die Lehrerin. Ihre Mama versuchte zwar immer wieder, sie aufzuheitern, doch Tini ließ das nicht zu.

Doch eines Tages, es war nur noch eine Woche bis Weihnachten, geschah etwas, das Tinis Leben erneut verändern sollte.


Oder doch?

Tini sieht fern - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Ganz zufällig war beim Frühstück der Fernseher aufgedreht. Das kam sonst eigentlich nie vor. Mama wollte das nicht - und schon gar nicht beim Frühstück. Doch diesmal schien sie nichts dagegen zu haben. Auch ihr Papa machte keine Anstalten, den Flimmerkasten auszumachen. Ganz im Gegenteil. Sie zwinkerten sich unauffällig zu, und Tini bemerkte das auch nicht wirklich. Ihr war sowieso alles egal. Sie glotzte einfach in die Kiste.

Zuerst bekam Tini gar nicht mit, was da eigentlich lief. Doch nach und nach drangen immer mehr Worte und Sätze zu ihr durch. Da war die Rede von Monoski und Wintersportlern, die im Rollstuhl saßen - genau wie sie - und die Skipiste runter sausen konnten. Tini wurde ganz aufgeregt. Sie wollte mehr erfahren. Doch die Sendung war zu schnell vorbei. Auch musste Tini schon längst in die Schule.

Den ganzen Vormittag über konnte sie an nichts anderes mehr denken. Sollte es tatsächlich die Möglichkeit für sie geben, wieder Ski fahren zu können? Das schien unglaublich! Nur langsam verging der Tag. Das Ende des Unterrichts rückte nur schleichend näher. Doch schließlich war es geschafft. Sie kam nach Hause und drehte sofort ihren Computer auf, den sie in den letzten Wochen und Monaten kaum angesehen hatte. Zu sehr war Tini damit beschäftigt gewesen, sich selber leid zu tun.


Der Wunsch

Tini erhält einen Skibob - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Sie googelte und wurde schnell fündig. Es gab doch tatsächlich ein Sportgerät, das ihr erlaubte, wieder Ski zu fahren. Eine Art Skibob - ein Monoski. Es gab sogar eine Sparte im Österreichischen Skiverband für behinderte Skifahrer.

Tini rief ihre Mama und zeigte ihr die Internetseiten, die sie gefunden hatte. Ihre Mama hatte offenbar schon etwas geahnt und am Vormittag verschiedene Prospekte besorgt, die sie nun gemeinsam durchblätterten. Tini wurde immer aufgeregter und lebhafter. Sie schaffte es kaum mehr still zu sitzen.

Nachdem Tini alle Prospekte fast auswendig gelernt hatte, beschloss sie, einen Brief ans Christkind zu schreiben. Natürlich wusste sie schon längst, dass es das Christkind nicht gab, aber trotzdem. Sie schrieb also ihren sehnlichsten Wunsch - einen Monoski - auf einen Zettel, klebte einige Bilder davon darauf, steckte ihn in ein Kuvert und gab ihn anschließend ihrer Mama. Diese schaute schon ein wenig komisch, als die den Brief mit der Adresse „An das Christkind“ bekam. Tini zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Sie hatte plötzlich wieder Spaß am Leben.

Weihnachten kam und unter dem Christbaum lag doch tatsächlich ein Monoski. Das Christkind brachte sogar noch mehr. Mit dabei waren ein Gutschein für einen Monoski-Kurs und die Eintrittskarte zu einem Monoskirennen, das Ende Jänner stattfinden sollte.


Start in ein neues Leben

Tini klärt sie auf - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Für Tini war die Welt jetzt wieder heil. Sie hatte nicht länger das Gefühl, arm und unbrauchbar zu sein. In den Weihnachtsferien machte sie den Skibobkurs. Zwar war das am Anfang ganz schön schwierig für sie, doch sie hatte ja neuen Mut gefasst. Sie biss sich durch und am Ende der Ferien konnte sie schon ganz gut mit dem Sportgerät umgehen.

Als die Weihnachtsferien zu Ende gingen, freute sie sich richtig auf die Schule. Tini hatte ja eine Menge Neuigkeiten zu berichten. Doch der erste Schultag war ziemlich deprimierend.

Ihre Klassenkammeraden behandelten sie immer noch wie mit Samthandschuhen. Kein Wunder, denn das hatten sie davor ja auch schon gemacht. Wie sollten sie auch wissen, dass für Tini ein neues Leben begonnen hatte?


Freunde in der Schule

Tini erzählt vom Skibob fahren - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Also beschloss Tini in der großen Pause die Lehrerin um ein wenig Zeit der nächsten Stunde zu bitten. Sie wollte zu der ganzen Klasse sprechen. Die Lehrerin gab ihr diese Zeit gerne.

So rollte Tini am Beginn der nächsten Stunde zum Lehrerpult und begann zu reden. Sie erzählte von ihren Erlebnissen in den Ferien und von ihrem neuen Sport. Die Klasse staunte nicht schlecht, als Tini ihre ersten Stürze mit dem Skibob schilderte, wie sie kaum mehr aufkam, es aber trotzdem schaffte und nicht daran dachte, aufzugeben. Alle applaudierten, als Tini mit ihrer Geschichte fertig war.

Doch eines war ihr noch wichtig. Bevor sie wieder zu ihrem Platz rollte, bat sie ihre Klassenkollegen, sie ganz normal zu behandeln. So, als würde sie nicht im Rollstuhl sitzen, denn „schließlich sind bewegbare Beine nicht alles im Leben“, sagte sie. Ihre Freunde schauten ein wenig verunsichert, doch schließlich versprachen sie, es zu versuchen.


Alles normal

Tini spielt mit Freunden - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Mit der Zeit gelang es der Klasse ganz gut, Tinis Behinderung und ihren Rollstuhl zu vergessen. Sie hatten sogar eine ganze Menge Spaß mit dem fahrbaren Untersatz. Abwechselnd durften sie den Rollstuhl ausprobieren. Sogar Rennen wurden im Pausenhof gestartet. Natürlich gewann Tini sämtliche Rennen, denn sie war ja sozusagen „Profi“. So sehr sich die anderen auch anstrengten, Tini war nicht zu besiegen. Aber das machte auch nichts. Die Hauptsache war, dass alles wieder so normal war, wie vor Tinis Unfall.

Tini fühlte sich wohl und verschwendete keine Zeit mehr damit, sich zu bedauern. Auch ihre Freunde hatten wieder Spaß in der Klasse. Sie freuten sich, dass Tini nun wieder ihre Freundin war, mit der man lachen und Spaß haben konnte.


Und die Geschichte mit dem Monoski?

Tini träumt von den Paralymics - Stef Sisa kiwithek.wien, CC BY-NC-SA 3.0 AT

Tini übte damit so oft es ging und strengte sich ziemlich an. Sie wurde immer besser und besser. Und das war auch gut so - denn schließlich hatte sie ein großes Ziel vor Augen. Sie wollte, wenn sie alt genug war, eine Medaille bei den Paralympics gewinnen, den olympischen Spielen für Menschen mit unterschiedlichen Handicaps.

Tini wusste, sie konnte es schaffen, denn sie hatte den Willen dazu - und auch die Unterstützung von ihrer Mama, ihrem Papa und natürlich ihren Freunden.


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